Redebeitrag auf dem Schulstreik zum Feministischen Kampftag in Dresden

Auch wir beteiligten uns am 8. März am Feministischen Schulstreik der Schwarzen Rose Gewerkschaft. Dabei durften wir folgenden Redebeitrag halten:
 
„Es folgt ein Redebeitrag, bei dem Rassismus, Xenophobie, Antisemitismus, sexualisierte Gewalt, Queer- und FLINTA-Feindlichkeit im Schulkontext thematisiert werden.
Betritt man das Gebäude meiner ehemaligen Schule, sieht man links neben dem Eingang ein Schild: Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage. Als ich mit 10 Jahren auf das Gymnasium gewechselt bin, habe ich das als sehr positiv wahrgenommen. Doch mit diesem Schild am Eingang, das in über 4 Tausend Schulen in Deutschland die Wände schmückt, macht Rassismus und jede andere Diskriminierungsform nicht vor der Pforte halt.
Wie auch? Es fängt schon im Unterricht an. In veralteten Lehrbüchern wird eurozentrisch Geschichte gelehrt. Während wir der Politik Bismarcks 2 Monate widmeten, behandelten wir die Kolonialzeit innerhalb zweier Unterrichtsstunden. Zwei Stunden, in denen der Fokus nicht auf den begangenen Völkermorden, den unzähligen Verbrechen durch die Kolonialmächte und nicht auf der Ausbeutung der Länder und Völker lag. Dass diese kolonialen Zustände noch immer auf grausamster Weise bestehen und der Wohlstand im politischen Westen ein Resultat jener jahrhunderterlanger Unterdrückung ist, dazu stand nichts in den Schulbüchern. Geschichte bildet Perspektiven. Perspektiven schreiben Geschichte. In den Lehrplänen und Büchern ist jedoch vor allem eine präsent: Die der weißen, europäischen Unterdrückung. Aufklärung über Diskriminierungsformen? Unterricht zur Kolonialgeschichte aus Sicht der Unterdrückten? Fehlanzeige.
Auch Queerfeindlichkeit ist leider nicht selten Bestandteil des Schulalltags. Es beginnt bei heteronormativen Lehrmaterialien, welche keinerlei „Vielfalt“ bieten und nach wie vor die Lehrpläne und Schulräume prägen. Abweichungen von diesem heteronormativen Bild werden als unnormal angesehen, es gibt so gut wie keine Aufklärung über queere Themen. Lehrkräfte sprechen selten und meist nur peinlich berührt über solche Anliegen und beschweigen die Existenz queerer Menschen. 
Ich erinnere mich nur zu gut an queerfeindliche Aussagen, welche von Lehrenden gegenüber SchülerInnen geäußert wurden, die ohne jegliche Konsequenzen blieben.
Doch das Problem endet nicht beim Unterricht. 
Eine Freundin von mir ist in der 6. Klasse nach Deutschland immigriert und an unsere Schule gekommen, nachdem sie einen einwöchigen Deutschkurs belegt hatte. Wenn sie etwas vorgelesen hat, wurde sie ausgelacht. Sprach sie etwas falsch aus, wurde sie ausgelacht. Von Schüler*innen ebenso wie von Lehrenden. Immer wieder sprach sie das bei Lehrenden an. Es passierte nichts. 
Als ich in der 8. Klasse war, war es ein Ding, dass in der Jungenumkleide vorm Sportunterricht Hitlergrüße gezeigt wurden. Antisemitische Anfeindungen waren gängige Beleidigungen und Nazisticker in jedem Klassenchat präsent. 
Immer wieder sprachen wir es an. Es passierte nichts. 
In der 11. Klasse verglich mein Biolehrer eine PoC in meinem Kurs mit Dreck. Wir sprachen es bei Lehrenden an und – naja ihr wisst was kommt: es passierte nichts. 
Von solchen Geschichten könnte ich dutzende erzählen und die meisten von euch wahrscheinlich auch. 
Die patriachalen Eigenschaften des Bildungswesens sind ebenso unschwer zu erkennen.
Die starke Festschreibung des Schulsystems auf zwei Geschlechter und deren stereotypische Geschlechtsrollen bildet sich als große Problematik ab: die Geschlechterhierarchie und die damit einhergehende Diskriminierung aufgrund von Geschlecht wird meist reproduziert und zieht verheerende Folgen mit sich.
Kinder und Jugendliche werden in ihrer Selbstentfaltung eingeschränkt, da sie das Gefühl haben, in das binäre Geschlechtersystem passen zu müssen.
Auch bekommen SchülerInnen, welche zuvor kein oder ein untypisches Geschlechterbild hatten, durch die Schule oder andere Institutionen schon im jungen Alter diese stereotypischen Rollen zugewiesen und eingeredet.
Unnatürliche, sozial geschaffene Geschlechtsdifferenzen, sowie die Inszenierung und Attributierung von Geschlecht wird durch Lehrkräfte oft reproduziert. 
Jungen, männlich gelesenen Kindern wird viel zu häufig noch vermittelt, dass feminine Eigenschaften „schwach“, „niedrig“ oder „unangebracht“ seien. Somit entwickeln sie eine tendenzielle Abwertung der Weiblichkeit, welche die Benachteiligung von weiblich gelesenen Personen mit sich bringt. Männlich gelesene Kinder lehnen dadurch oft feminine Spielzeuge, Materialien, Tätigkeiten und Personen ab, sie wollen nicht mit ihren weiblichen Mitmenschen spielen. Weiblich gelesene Kinder werden also aktiv abgegrenzt, obwohl sie diese Trennung in den seltensten Fällen wollen und selbst vornehmen. 
Diese Ablehnung von Weiblichkeit zieht sich bis zur Pubertät weiter: toxisch maskuline Vorbilder, welche sich durch ihre Dominanz und Diskriminierung gegenüber FLINTA Personen definieren, sind bei vielen zur Normalität geworden.
Feminismus wird von den meisten solcher Menschen als „nicht mehr nötig“ bezeichnet, obwohl sie selber patriachale und sexistische Verhaltensweisen reproduzieren, was Feminismus ja gerade so notwendig macht.
Sexistische, queerfeindliche, rassistische und antisemitische Äußerungen werden an Schulen und anderen Institutionen meist als Witz oder Spaß verharmlost, obwohl sie sehr real und verletzend für betroffene Personen sind. Wie kann es sein, dass Wörter wie „schwul“ oder „lesbisch“ beteits von FünftklässlerInnen als Schimpfwörter benutzt werden? Warum werden solche Tätigkeiten von Lehrenden zwar wahrgenommen aber trozdem ignoriert?
Die fehlende Awareness von Lehrkräften im Bezug auf solche Diskriminierung, wie auch die eigene Ignoranz und Intoleranz, bieten den Betroffenen so gut wie keine Hilfe. Während Lehrende eigentlich als Schutzperson gegenüber SchülerInnen fungieren sollen, wird diese Autorität viel zu oft missbraucht. Ich bin immer wieder über die Dreistigkeit und Schamlosigkeit einiger Lehrkräfte schockiert, wie stark sie diese Machtposition ausnutzen.
Die fehlende Erziehung männlich gelesener und Fokus auf die „Selbstverantwortung“ weiblich gelesener Personen stellt ein weiteres grundlegendes Problem des Patriarchats da. FLINTA werden in ihrer Äußerung eingeschränkt, da sie sich meist an mehr „dress codes“ halten als männlich gelesene, mit der Begründung, dass sie sich somit vor sexuellen Übergriffen „schützen“. Eine Aufklärung und Erziehung von männlichen Personen wäre weitaus zielführender, jedoch wird dies in den seltensten Fällen getan. Don’t protect your daughter – educate your son!
Schulen sind nicht diskriminierender als andere Institutionen der Gesellschaft oder die Gesellschaft im Ganzen. Doch durch das Machtgefälle zwischen Lehrer*innen und Schüler*innen haben marginalisierte Gruppen umso weniger die Chance, gegen  Diskriminierungen und Übergriffe vorzugehen. Die Angst vor weiterer Schikane und Abwertung, ebenso wie vor schlechten Noten, wenn mensch sich gegen die bestehenden Umstände wehrt, ist oft groß.
Insbesondere wenn die Person unter sexueller Belästigung durch eine Lehrkraft leidet, wird in den seltensten Fällen Hilfe geboten und konsequent gehandelt. 
Ich habe selber in meiner eigenen Schulzeit viel übergriffiges Verhalten von Lehrkräften erlebt und leider auch toleriert, ebenso wie viele meiner Mitlehrnenden. Zu oft wurden die Beschwerden von SchülerInnen ignoriert, totgeschwiegen oder ihnen gar selbst die Schuld gegeben, obwohl das Machtgefälle zwischen SchülerInnen und Lehrenden deutlich zu erkennen ist. Auch die fehlende Solidarität von MitschülerInnen schüchtert viele der Betroffenen stark ein.
Aus Angst vor weiterer Diskriminierung trauen sich SchülerInnen oft nicht von ihren Erlebnissen zu berichten und nach Hilfe zu suchen.
Schule reproduziert nicht nur Diskriminierungsformen, sie unterrichtet sie gleich mit und verankert sie in den Köpfen der jungen Menschen. Denn die Schule ist für Kinder und Jugendliche ein wichtiger sozialer Begegnungsort, der sie beim Großwerden begleitet und so auch die Entwicklung der Menschen mitformt. 
Deswegen ist es so verdammt wichtig, gegen die bestehenden Zustände aktiv zu werden. Es braucht ein neues Schulsystem: Lehrpläne, die Diversität aufzeigen und weggehen vom eurozentrischen Geschichtsverständnis. Es braucht mehr Aufklärung, bei Lehrer*innen und Schüler*innen, über gesellschaftsrelevante Themen wie Rassismus, Patriarchat, Queerfeindlichkeit und sexualisierte Gewalt. Zudem Kontrollinstanzen für Lehrkräfte, die verhindern, dass Lehrende ihr Machtposition so nutzen können, dass sie Diskriminierung geschehen lassen und selbst Diskriminieren können ohne jegliche Konsequenzen!
Doch dass sowas, vor allem in Zeiten wie jetzt, nicht so schnell passieren wird, ist klar.
Umso wichtiger ist es, dass wir jungen Menschen aktiv werden! Schule ist und war schon immer ein politischer Aushandlungsraum.
Wir müssen gegenhalten, wann immer uns Diskriminierung begegnet. Besonders in der Schule, wo Menschen oft Ausgrenzung und ein Gefühl der Ohnmacht erfahren, braucht es die Solidarität jede*r einzelnen! 
Bildet Banden! Sprecht über eure Erfahrungen und solidarisiert euch mit Betroffenen! Und vor allem: Organisiert euch, ob in der Schule oder anderswo. 
Seid laut, seid ungehorsam und lasst nicht zu, dass sich Menschen wohlfühlen können, wenn sie diskriminieren, ausgrenzen oder übergriffig werden, egal ob im Klassenzimmer, dem Hörsaal oder im Bekanntenkreis!“